Lassing 2021

Unterwegs auf neuem Wasser

Einer dreiwöchigen Spätwinterepisode ist es geschuldet, dass die Boote diesen Frühling eine ungewöhnlich lange „Schlechtwetterpause“ einlegen. Für Mitte April ist es schon eine Besonderheit, wenn die Ski öfter zum Einsatz kommen, als das Kajak. Aber seit ein paar Tagen kreucht ein nicht sehr überzeugender Hauch von Frühling daher, der sich nicht nur in Form von erhöhter Sonnenbrandgefahr äußert. Nein, auch die Pegel geben ein deutliches Lebenszeichen von sich. Stark genug, als dass es sich lohnt einen Abstecher ins Salzatal zu unternehmen. Lorenz hat es auf die Lassing abgesehen.

Mit von der Partie sind, neben Lorenz, Philipp, Fiona, Fran, Yasmin und Julian. Und Valentino, unser heutiges Shuttlebunny. An dieser Stelle gleich mal ein großes Dankeschön! Apropos Autofahren. Am Weg übers Niederalpl macht man sich beim Anblick der dort liegenden Schneedecke noch Gedanken, ob man sich als begeisterter Skitourengeher nicht die falschen Sportgeräte aufs Dach geschnallt hat. Eine Klopause und ein paar Kilometer später sorgen die ersten Blicke in die Salza aber dafür, dass der innere Paddler dann doch die Überhand gewinnt. Nächster Treffpunkt: Wildalpen!

Wir steigen aus, um uns einerseits nach der Fahrbarkeit der Lassing zu erkunden und anderseits, um das notwendige Salzaline-Ticket zu besorgen. Ein kurzes Gespräch später sind wir schlauer. Lassing geht, Ticket? Fehlanzeige! Wir blicken in ahnungslose Gesichter: „Wir haben keine.“ Also gut, dann weiter zur Tankstelle! Die Reifen haben Luft verloren. Im Lassingtal will ich nicht voll beladen ohne Reifendruck herumschlittern. Da ists schon mit funktionstüchtigem Auto spannend genug. In Fachwerk angekommen vervollständigt sich die Gruppe. Alle da!

Mit den zusätzlichen Geisteskräften aller anwesenden Paddler versucht man sich nun gemeinsam am Ausbrüten einer möglichst praktikablen Auspendel-Strategie. 3 Autos müssen zu 2 Einstiegen, und einem Ausstieg und das mit 6 Paddlern und einem ortsunkundigen Begleitfahrzeug. Bei einer derart komplexen Rätselaufgabe braucht es schonmal drei Versuche bis Lorenz und Philipp endlich mit zwei Autos Richtung Erzhalden aufbrechen. Unterwegs statten sie der Wasserlocklamm einen Besuch ab. Vielleicht braucht man doch schon Tickets? Dort wird uns auf die Aussage der Wildalpler nur mit: „Die sollen sich halt mal runter bewegen“, entgegnet. Also doch Tickets! Eine Spazierfahrt durchs Salzatal später stehen wir wieder in Fachwerk, diesmal mit Tickets!

Damit steht unserer angehenden Erstbefahrung der Lassing nichts mehr im Weg. Langsam schieben sich die zwei verbliebenden Fahrzeuge die „Straße“ entlang des Flusslaufs nach oben. Schnell geht auch nicht, ohne das Fahrwerk zu sehr zu beanspruchen. Am Ende der Blockstrecke trennen wir uns. Yasmin und Fran bleiben samt Auto zurück. Capo übernimmt die erste Wache während Lorenz, Philipp, Fiona und Julian von Valentino zum oberen Einstieg chauffiert werden.  Wir werden dann später wieder am Bach zueinander stoßen.

Um die Zeit bis zum Zusammentreffen nicht unnötig in die Länge zu ziehen, wird das Einbooten kurzgehalten. Sobald alle Ausrüstung am Körper und alle Boote vom Dach sind, macht sich Valentino wieder auf den Rückweg, um Capo abzulösen. Und plötzlich findet man sich in der Wildnis wieder. Keine Menschen, keine Autos und nur wenig, was man als tatsächlich absichtlich vom Menschen in dieser Gegend geschaffene Infrastruktur benennen könnte.

Der Begriff „wild“ bezieht sich in den ersten paaren Kilometern aber doch mehr auf die wildromantische Landschaft als auf die Paddelstrecke. Umringt von steilen Waldflanken fährt man zwischen breiten Schotterbänken den schneebedeckten Gipfelhängen in der Ferne entgegen. Sonnenseitig hat der Frühling bereits die Oberhand. Auch wenn die Bäume bisher nur von spärlichen Ansätzen einer Belaubung bedeckt sind, zeigt sich der Einfluss der Frühlingssonne umso mehr auf der sonnenabgewandten Seite des Lassingtals. Dort ruhen noch immer massive Altschneedecken, die sich oft noch über mehrere hundert Meter bis ans Ufer erstrecken. Nur sporadisch wagen es einzelne Baumstämme oder Felsen diese zu durchbrechen. Und dort, wo sie es tun, lässt sich noch erahnen wie hoch sich der Schnee vor ein paar Monaten noch im Flussbett gesammelt haben muss.

Nach ein paar Kilometern „Warmpaddeln“ gelangen wir zu einer breiten Linkskurve. Rechts lässt sich ein gewaltiger Lawinenkegel erkennen, der sonnenseitig aber nur mehr aus Geröll und Baumstämmen besteht. Er gibt einen kleinen Vorgeschmack auf die Anzahl der Felsen, die sich in dem nachfolgenden Streckenabschnitt auftürmen werden. Schleichend vollzieht sich der Wechsel der Lassing von Genussstrecke zu technischem Blockslalom. Erst ein paar Kehrwässer später fällt auf, wie sehr die Größe der Felsblöcke und die Höhe der Stufen zugenommen hat.

Wir sind inzwischen mitten in der Schloif. Die Linien werden verwinkelter und zahlreicher. Die Anzahl so vieler möglichen Durchfahrten überfordert so manches Paddlerherz. Nicht immer fällt die Wahl dann auf die geeignetste. Julian ist ein Paradebeispiel dafür, die Linienwahl seines Vordermanns in Frage zu stellen. Wenn er dann seitlich und kopfüber aus dem Ende einer Schwallstrecke schießt, weiß man als Hintermann, dass man wohl doch eher der Linie von Lorenz folgen sollte. Fiona, unser Schlusslicht, kann sich bei ihrer Linienwahl ganz auf die Ergebnisse der Versuchsanstalt vor ihr stützen.

Viel zu schnell erreichen wir das Ende der Schloif. Vor lauter Staunen und technischer Spielerein sind kaum Fotos zu Stande gekommen. Lag aber vielleicht auch daran, dass schon alle an mir vorbeigezogen sind, bis meine kalten Finger den Auslöser erreicht hatten. Macht nix, die Erinnerungen sind genügend stark in die Großhirnrinde eingebrannt. Es folgt die Straßenbrücke und wenig später treffen wir auf Yasmin und Fran, die sich inzwischen ebenfalls „warmgepaddelt“ haben. Zu sechst geht es durch die untere Lassing. Der Flusscharakter wechselt wieder zu wildromantischen Uferlandschaften, die zwar nur selten aber dann abrupt von scharfen Kehrwässern und Stromschnellen unterbrochen werden.

In Fachwerk angekommen gibt es eine kurze Pause, bevor wir die Fahrt Richtung Erzhalden fortsetzen. Gemütlich lassen wir die Aufregung der Lassing auf der Salza ausklingen. Die sonst so zahlreichen Spielstellen sind aufgrund des Wasserstands von 172cm am Pegel Wildalpen beinahe gänzlich abgesoffen. „Lawinenschwall“ und „Moosrutsche“ sind weniger reizvoll als üblich. „Pertus“ und „Lange Gasse“ entschädigen dafür mit stark angeschwollenem Wuchtwasser. Die vermehrten Wuchtwasserpassagen sind es dann aber auch, die zunehmend kraftraubend werden.

In Erzhalden angekommen verspürt dann niemand mehr das Verlangen die Palfauer Schlucht auch noch mitzunehmen. Die Sonne steht bereits tief, der Wind nagt an der Körperwärme ebenso wie das Wasser. Erleichterung macht sich breit als wir die Boote aufs Ufer ziehen. Jetzt macht sich auch die lange Strategieplanung vor dem Auspendeln bezahlt. Ohne weitere große Umwege fahren wir zurück nach Fachwerk. Dort lassen wir den ereignisreichen Paddeltag auf der Schotterbank zwischen Salza und Lassing ausklingen. Ein kurzes Picknick schafft wieder Kräfte für die anstehende Heimfahrt.

Auf der Heimfahrt leuchten uns die vom Abendrot erfüllten Abstürze des schneebedeckten Hochschwabmassivs entgegen. Vor dieser Kulisse bleibt es einem nicht erspart sich im Stillen mal kurz zu fragen, ob man den Tag nicht doch besser auf Skiern verbringen hätte können. Die Antwort ist nebensächlich. Wenn man sich mit vollbeladenen Dachträger bei untergehender Sonne vor einem schneebedeckten Alpenpanorama wiederfindet, ist es egal, welches Sportgerät auf dem Dachträger festgezurrt liegt. Man weiß, dass man die richtige Entscheidung getroffen hat. Bis zur nächsten richtigen Entscheidung.

Euer Paddelclub Pernitz.