Des Einen Leid, des Anderen Freud
Es ist Winter. Wir schreiben den 26 Dezember. Normalerweise würde ich die Weihnachtsfeiertage mit einer guten Schachtel Lego vor dem Fernseher verbringen. Stattdessen stehen wir in voller Kajakmontur in Hinternasswald vor einem Fahrverbotsschild. „Weiter rauf geht wohl nicht, müssen wir halt hier einsteigen“. Wo sich sonst Tourengeher die Felle auf die Ski ziehen, liegen nun vier bunte Kajaks im Schotter.
Den Umstand verdanken wir dem Wetter. Es taut, und zwar gewaltig. Wo wenige Tage zuvor noch 20cm Schnee lagen, fließt heute glasklares Schmelzwasser hinab. Meinen Skiern würden bei dem Anblick die Tränen kommen, mein Boot sieht das Ganze freilich anders. Eigentlich war die Paddelsaison schon lang zu Ende. Nun dürfen wir uns bei angenehmen 12°C Lufttemperatur einen langgehegten Wusch erfüllen: Den oberen Nassbach!
Der Reiz des 5km langen Oberlaufs liegt dabei nicht primär am natürlichen Flusslauf selbst sondern an seiner künstlichen Umleitung dazwischen, dem Saurüsseltunnel. Dabei handelt es sich um einen 60m langen künstlich angelegten Stollen, durch welchen der Nassbach die Saurüsselklamm unterwandert. Sein ursprüngliches Flussbett musste einer Straße weichen, welche sonst die Holztrift erschwert hätte. Heute schwemmt es nur mehr vereinzelte Paddler hindurch.

Dieses Mal sind es Fiona, Julian, Philipp und Lorenz, die im Namen des Pernitzer Paddelclubs ebendiese blöde Aktion früherer Generationen wiederholen und multimedial für die nachfolgende Generation festhalten darf. Damit sich die weite Anreise auch lohnt, nehmen wir so viele Fließkilometer wie möglich mit. Der Wasserstand, 190cm am Lattenpegel des unteren Nassbach, muss ausgenutzt werden. Und so beginnt das Einbooten bereits unmittelbar neben dem Parkplatz in Hinternasswald.
Auch hier liegt der Reiz zunächst im künstlich angelegten Bachlauf. Auf den ersten 400m wird das Gefälle fast ausschließlich über eine Serie niedriger Gefällebremsen absolviert. Die höchsten, mit knapp einem Meter Fallhöhe, warten direkt zu Beginn. Die Wassertiefe im Unterlauf reicht gerade so. Lorenz und Fiona schonen ihre Boote lieber und steigen erst etwas weiter flussab zu.
Auch im weiteren Verlauf macht sich die geringe Wassertiefe bemerkbar. Kleinere Verklausungen und geschickt platzierte Steine im Unterwasser sorgen für ausreichend Abwechslung zwischen den Gefällestufen. Die erste Kurve wird Julian dabei fast zum Verhängnis. Mehrere Stützschläge sind nötig damit weder er noch der dahinterfahrenden Lorenz eine kalte Dusche abbekommen.



Am Ende der Gefällestufen wandelt sich der Bach von der sportlichen Boofschlag-Trainingsstrecke zum klassichen Wiesenbach. Wir folgen dem Flusslauf durch eine Mischung aus Wiesenflecken und hohen Sträuchern weiter hinab. Bei der Kläranlage wechselt der Bach für 150m die Straßenseite und wird zwischen Straßenwand und Bergflanke eingeengt. Die Flussgeschwindigkeit steigt erneut und bietet dank einiger weniger großer Felsbrocken die ersten brauchbaren Kehrwässer.
Nach erneutem Straßenwechsel beruhigt sich der Flusslauf. Das Bachbett läuft weiter parallel zu Straße, ohne grob zu mäandrieren. Durch die geringe Einschnittstiefe des Bachbetts bleibt die Fahrt stets übersichtlich und erlaubt die Landschaft zu genießen. Die größten Gegner sind hohe Steine im seichten Wasser und tiefhängende Brücken. Ab und zu sorgen vereinzelte Gefällestufen und Furten für die ein- oder andere Kollision unter den anwesenden Paddlern.
Etwa auf der Hälfte des Weges zur Preinbachmündung folgt das wildwassertechnische Highlight: Ein natürlicher Katarakt, eingeengt zwischen einer überhängenden Felswand und der Straßenmauer, gespickt mit groben Felsblöcken und einer kurvigen Anfahrt. Da schlägt das Paddlerherz höher. Für Lorenz und Fiona vielleicht zu hoch. Sie umtragen erneut. Julian und Philipp stellen sich der Steinrutsche.


Viel Platz für Variation der Linie gibt es ohnehin nicht. Die Anfahrt ist durch einen Stein in der Mitte zweigeteilt, der eigentlich Abfall so steinig, dass man froh man sein muss, nicht zwischendurch anzuschieben. Aus Platzgründen zur Felswand wählt Julian die linke Anfahrt. Ein Fehler wie sich zeigt. Zwar bleibt man der Felswand anfangs fern, verliert durch den steinigen Untergrund aber sämtlichen Schwung und ist dann dem Wasserdruck ausgeliefert, welcher einen brav wieder zurück unter die Felswand ziehen will.
Überzeugt von der suboptimalen Linie meines Bruders folge ich ihm spurtreu nur um am Ausgang ähnlich nahe mit der Felswand zu kuscheln. Nach 5 Sekunden ist der Schreck vorbei und die Fahrt geht ungetrübt weiter. Das Tal verengt sich nun zunehmend und gewinnt wieder an Gefälle. Die Felswände rücken näher und der Bach bekommt stellenweise richtigen Schluchtcharakter ohne dabei wildwassertechnisch stark zuzulegen. Kurz vor dem Ende entfernt sich die Straße von der Talsohle und macht Platz für das vorausliegende Tunnelportal.

Wir booten aus und besichtigen die dunkle Pforte. Entgegen unserer Annahme sieht man kein Licht am anderen Ende des Tunnels. Verantwortlich dafür ist ein Linksknick in der Mitte des Tunnels. Da von außen leider keine Besichtigung möglich ist, muss zwangshalber jemand hinein. Ich opfere mich und steigt mit Stirnlampe und Wurfsack bewaffnet in der knietiefen Strömung dem Nichts entgegen. Da der Wurfsack von der Länge nicht ausreicht, wiederhole ich den Vorgang auch nochmal von der flussabgelegenen Tunnelpforte.
Die Sohle des Tunnels ist von über hundert Jahren Wasserströmung aalglatt ausgewaschen und auch die Wände und Decken lassen keine potenziellen Gefahrenstellen erkennen. Nach Besichtigung der gesamten Tunnellänge, kann bedenkenlos grünes Licht gegeben werden. Zur Vorsicht teilen wir die Befahrung in zwei Gruppen. Lorenz und Julian machen den Anfang. Ich sichere am Eingang, Fiona am Ausgang. Dann schicken wir die zwei ins Verderben.
Zu unser aller Erleichterung kommen sie auch in genau derselben Reihenfolge wieder aus dem Tunnel heraus. Ein Daumen hoch und Fiona gibt Entwarnung. Kurzerhand werden die Stirnlampen gegen Wurfsäcke getauscht und die zweite Partie macht sich auf den Weg zur Unterschreitung des Saurüssels. Diesmal übernehme ich die Vorhut. Ein paar kurze Paddelschläge in der Anfahrt müssen zum Warmpaddeln reichen. Dann wird es dunkel.
Schon wenige Meter nach der Tunnelpforte herrscht trotz Stirnlampe tiefste Finsternis. Ich hoffe meine Kamera sieht mehr als ich. Der Lichtschimmer reicht gerade aus, um die Wände links und rechts erahnen zu können. Die Geräuschkulisse im Stollen ähnelt einer Mischung aus Black-Hole-Rutsche und Wasserfall und überschattet alle anderen Sinne. Einzig ein starker Luftzug macht sich bemerkbar.
Die Paddelmanöver beschränken sich lediglich auf leichtes Kurskorrigieren. Der Zug der Hauptströmung ist stark genug sodass das Boot kaum Gefahr läuft einer Seitenwand zu nahe zu kommen. Für einen Moment fühlt man sich wie auf einem Fahrgeschäft im Prater. Man kann nicht aus, man ist gezwungen zu warten, bis die Fahrt vorbei ist. Eine Art kurze Verschnaufpause, bevor man wieder selbst die Kontrolle übernehmen muss. Der Genuss ist leider nur von kurzer Dauer.
Nach etwa 20 Sekunden taucht die Sonne das Boot zurück in seine bekannt gelbe Farbe. Das Rauschen von Wind und Wassers verstummt und beinahe instinktiv steuert man das nächste Kehrwasser an. Alle durch? Expedition erfolgreich. Ziel erreicht! Nicht ganz. Noch trennen uns einige Kilometer bis zur Mündung in die Schwarza Wir landen kurz am Ufer an und verstauen die Sicherungsgeräte wieder im Boot. Dann geht es weiter.


Leider kann der Nassbach auf den folgenden 1,5km nicht mit den landschaftlichen Eindrücken oberhalb des Saurüssels mithalten. Das Bachbett schneidet nun tiefer in den Boden und verläuft zwischen Wohnhäusern in einem größtenteils regulierten Flusslauf mit steiler Uferböschung. Nach der Mündung des Schwarzriegelbachs verdoppelt sich zwar die Wassermenge gleichzeitig geht aber auch das Flussbett etwas in die Breite.
Dennoch bleibt der Nassbach paddeltechnisch reizvoll. Die geringere Weitsicht erfordert mehr Aufmerksamkeit. Dafür wird man mit sporadisch eingestreuten künstlichen Gefällestufen belohnt, die sich stellenweise auch als Surfwelle missbrauchen lassen. Auch Baum- und Seilhindernisse müssen überwunden werden. Am Ortsende wartet dann schon ein alter Bekannter, der Preinbach.
Die Wassermenge wird nochmals deutlich aufgestockt und zum ersten Mal hat man das Gefühl das nachfolgende Blockwurfwehr endlich mal ohne Bodenkontakt überwinden zu können. Ganz ohne Feindkontakt funktioniert es dann aber doch nicht. Die nachfolgende Nassbachschlucht ist geprägt von glasklarem Wasser, vereinzelten Steinblöcke und massenhaft Kehrwässern. Eine Bilderbuchfahrt, die mit einem wuchtigen Sprung über das alte Holzwehr am Ausgang beendet wird.
Ab hier übernimmt wieder die Landschaft. Mit Tiefblicken in die schneebedeckte Westflanke des Schneebergs dümpeln wir auf einer technisch anspruchslosem Fließstrecke der Singerin entgegen. Hier verlassen uns Julian und Fiona. Lorenz und ich mobilisieren die letzten Reste warmen Blutes in unseren Fingern, um der Schwarza noch ein paar hochwassergestützte Kerzen aufzudrücken. Die satten Schwälle und volle Kehrwässer sind eine willkommene Abwechslung zum sonst so niederwassergeplagten Höllental.
Beendet wird die Fahrt bei der Mündung des Grössingbachs. Dort warten bereits Julian und Fiona mit einem vorgewärmten Auto auf uns. Die Freiheit muss mangelnder Motivation und Kondition auf ein anderes Mal verschoben werden. Außerdem hatten wir heute ohnehin bereits geug Highlights.
Bis zum nächsten Highlight.
Euer Paddelclub Pernitz