Saalach 2020

Sicherheitstraining

Ich döse. Ein dumpfes Trommeln schleicht sich den Gehörgang entlang. Auf meinem Rücken spüre ich eine Kante. Sie ist schief. Die Isomatte, sie ist schon wieder verrutscht. Ich versuche mich selbst wieder in eine Linie mit der Unterlage zu bringen. Vergebens. Das Wesen neben mir hat nicht nur ihre, sondern auch meine Isomatte beschlagnahmt. Polster hab ich auch keinen mehr. Meinen Schlafsack durfte ich immerhin behalten. Das Trommeln wird lauter. Die Augen stellen sich langsam auf das Licht ein. Die grüne Zeltplane lässt es im Innenraum taghell werden. Aufs Klo müsst ich auch. Meine Schuhe stehen aber auf der anderen Seite. Außerdem trommelt es. Nein, es prasselt. Ich ziehe mir meine Haube wieder über den Kopf und rolle mich auf meinem verblieben Stück Isomatte zusammen. Ich versuche den Fakt zu ignorieren, dass ich auf die Toilette muss während der Regen draußen die Zeltplane als Bongos missbraucht.

Das Schlagzeug-Solo geht noch 2 Stunden so weiter. Freundlicherweise, gerade zum Aufstehen, legt der Regen eine Pause ein. Das Frühstück kann demnach im Freien und trocken verspeist werden. Rund um uns herum zieren dicke Nebelschwaden die Berghänge. Der Himmel ist einheitlich grau. Pünktlich zur Abfahrt, fängt der Regen wieder an. Das Zelt lässt sich als Nasses ohnehin leichter zusammenpacken. Es ist der 18.07. kurz vor 10:00. Heute steht das Sicherheitstraining auf der Saalach des Salzburger Kajak Clubs auf dem Programm. Und wir dürfen uns freundlicherweise anschließen.

Wir sind etwas spät dran, als wir am Parkplatz in Au ankommen. Der Parkplatz ist bereits übervoll und wird trotzdem weiter zugeparkt. Das Interesse scheint groß. Selbst die Veranstalter wirken etwas überrascht über den großen Andrang. Kurzerhand wird entschlossen, die Gruppe zu teilen. Die Fortgeschrittenen üben sich an dynamischen Übungen, während Fiona, Marcel und Philipp sich den Statikern anschließen. Hier werden erst mal die Grundlagen beigebracht.

Grundlage #1: Wurfsack werfen. Vom trockenen Ufer aus wird ein Felsen anvisiert. Er simuliert uns für die nächste halbe Stunde einen schwimmenden Kajaker, der gerettet werden möchte. Ich darf als Erster. Als geübter Sportgymnasiast, dem man es in acht Jahren nicht geschafft hatte beizubringen einen Ball zu werfen, stehe ich unter enormer Erwartungsdruck. Und ohne nur mit der Wimper zu zucken, fliegt der erste Versuch in hohem Bogen zu kurz und daneben. Mein einziger Trost, die ersten Würfe der anderen Teilnehmer sind für den Felsen ähnlich hilfreich. Der zweite Versuch ist schon besser. Jetzt packen unserer Lehrenden auch ihre Weisheiten aus: Seil hinter dem Rücken vorbei, Wurfsack vorher nass machen, zweiten Wurfsack griffbereit halten, Karabiner vorher runtergeben, Kommando geben usw. Und siehe da, hätte der Felsen gerettet werden wollen, so würde er inzwischen trocken am Ufer liegen. Wir bedanken uns beim Felsen und gehen über zur nächsten Übung…

Grundlage #2: Boot bergen. Dazu wassern wir die Boote und queren die Saalach. Auf einer Schotterbank zwischen großen Felsen bekommen wir die nächste Übung erklärt. Unter der Annahme, dass ein herrenloses Boot vor einem Felsen klemmt soll ein Paddler gesichert mit einem Wurfsack zum Felsen schwimmen. Dort soll er anlanden, seine Sicherung lösen und vom Ufer her einen zweiten Wurfsack zugeworfen bekommen. Mit diesem soll sich besagter Paddler nach der fiktiven Bootsbergung wieder an Land bringen lassen. Diesmal macht es Matthias vor. Beim Schwimmen steigt ihm die Luft seines Trockenanzug so weit nach oben, dass er von außen wie ein schwimmendes Michellin-Männchen aussieht. Trotz dieser zusätzlichen Schwimmhilfe und Paddel treibt er vorm Felsen ab und kann die Übung nur zum Teil durchführen. Es braucht mehrere Fehlversuche bis die erste Teilnehmerin auf dem Stein zu stehen kommt. Die Übung verlangt den Teilnehmern alle grundlegenden Fertigkeiten ab: Wurfsack werfen, Abseilen, Cowtail bedienen, Treiben, Schwimmen mit und ohne Paddel und Kälteresistenz. All das wird getestet. Dementsprechend viel Zeit wird an dieser Übung verbracht, bis alle einmal an der Reihe waren. Es geht weiter mit…

Grundlage #3: Boot abschleppen. Hier lernen wir ein herumtreibendes herrenloses Boot mithilfe eines Cowtails abzuschleppen. Gegen die Empfehlung von Charly beharrt Matthias darauf, dass das Boot nicht umgedreht und geflutet wird. Erstens hat das Boot keine Luftsäcke und zweitens hat die Saalach heute zu viel Wasser, als das man 300kg so locker wieder ans Ufer bekommen würde. Man könnte annehmen Charly wollte das lädierte Übungsboot einfach nur loswerden. Die drei Herren in der Runde wechseln sich nun dabei ab, sich selbst an das Boot zu seilen und es zuerst ans Ufer zu ziehen und dann wieder flussaufwärts zu schleppen. Meine Arme geben Matthias recht. Ein leeres Boot allein, macht die Mitgliedschaft im Fitnesscenter schon überflüssig. Währenddessen fischen die Damen nach dem Leiter der dynamischen Gruppe. Was lernen wir aus dieser Lektion: Beim Bootabschleppen das Cowtail nur einmal einbinden, beim Retten doppelt und beim Wurfsack werfen den Karabiner vorher entfernen. Damit kommen wir zu…

Grundlage #4: Springerrettung. Der Name verrät schon was die Teilnehmer jetzt erwartet. Zwei Paddler stehen am Ufer und sichern den Springer mit einem Wurfsack am Cowtail. Ein vierter Teilnehmer übernimmt den Part des Schwimmers und treibt bei simulierter Bewusstlosigkeit in unmittelbarer Distanz zum Springer vorbei. Sobald dieser in Reichweite ist, wirft sich der Retter in die eisigen Fluten und schlingt seine Arme von Hinten um die Schwimmweste des Treibguts. Die Strömung des Wassers und die Sichernden am Wurfsack übernehmen den Rest. Die mitgenommenen Lektionen aus dieser Übung sind: Wasser ist kalt. Und damit kommen wir zum krönenden Abschluss. Dem…

Ernstfall: Als letzte Übung simulieren wir einen Ernstfall. Unser Kursleiter, Charly, simuliert einen Schwimmer und lässt sich samt Equipment von uns retten. Er traut uns anscheinend mehr zu als wir uns selbst. Er wartet bis alle im Boot sitzen und zeigt uns sein vorbildlichstes Verkanten. Schon schwimmt er und kurz darauf treiben Paddel, Boot und Insasse auf unterschiedlichen Routen flussabwärts. Wir nehmen die Verfolgung auf. Charly habe ich schnell eingeholt. Wie gelernt, versuche ich ihn dazu zu bringen sich an meinem Boot festzuhalten. Bis mir bewusst wird, dass er eine bewusstlose schauspielerische Meisterleistung darbietet, vergehen ein paar Sekunden. Also doch Cowtail und Abschleppen. Ich greife nach dem Cowtail und visiere Charlys Schwimmweste an. Mit nur einer Hand am Paddel kantet plötzlich das Boot. Stützen! Das nächste was ich sehe ist wie ich rückwärts eine Welle in einen Gumpen fahre. Während ich mit der Topologie des Flusslaufs beschäftigt bin übernehmen die Kollegen die weitere Rettung.

Es dauert einige Sekunden bis ich wieder aufgeholt habe. Das Boot ist bereits angeleint. Ich unterstütze bei der Bergung. Als das Boot sicher am Ufer liegt, fahre ich erneut raus und halte Ausschau nach Charly. Dieser hängt samt Cowtail am Heck einer Paddlerin, die sichtlich Schwierigkeiten hat sein Gewicht ans Ufer zu ziehen. Bis ich aufgeholt habe, hat sie es dennoch geschafft. Ich springe aus dem Boot und befreie sie von Charly. Dieser erwacht nun wieder aus seiner Starre, klettert ans Ufer und läuft zu seinem Boot. Erst jetzt fällt auf, wie weit er laufen muss. Die Rettung hat uns geschätzte 200m gebraucht. Die Distanz ist beeindruckend und führt eindrucksvoll vor Augen, dass eine Rettung, auch auf vergleichsweise ruhigem Verlauf, sehr anspruchsvoll sein kann. Eine wertvolle Lektion.

Und jetzt dreh ma noch ne Runde!

Damit sind wir am Ende des Trainings angelangt. Zum gemütlichen Ausklang folgt eine Fahrt auf der Saalach bis Unken. Es gibt ein kurzes Mittagessen bestehend aus Weckerln und Riegeln. Während die einen in der ohnehin durchnässten Ausrüstung dem wiedereinsetzenden Regen trotzen, pendeln die anderen die Autos aus. Wenig später geht es auch schon los. Es folgt ein Blockwurfwehr und einige wuchtige Passagen wie das Auer Loch. Der erhöhte Wasserstand zeigt sich in einer graubraunen Wasserfarbe welche stellenweise mit weißen Schaumkronen gespickt ist. Das Highlight bildet eine Wuchtwasserpassage vor dem sogenannten Magnetfelsen, einem Felsen in der Mitte des Flusses, auf welchen die Hauptströmung direkt hinzielt.

Ein großer Teil nutzt diese Passage für weitere Übungen. Schwimmen, Abschleppen, Abschleppen und Kentern, Abschleppen und Kentern und Schwimmen, usw. Ich halte mich zurück. Es steht noch eine lange Rückfahrt an. Ich sehe zu wie Lukas dreimal vergeblich versucht als Schwimmer auf den Magnetfelsen zu klettern und beobachte Flo beim Kehrwasserspielen unterhalb des Magnetfelsen. Einmal probiere ich es dann auch selbst. Jedoch eher zurückhaltend. Die Wucht der Wassermassen ist etwas furchteinflößend. Bis ich den Mut finde einen weiteren Versuch zu starten, kentert ein Retter beim Versuch ein Boot abzuschleppen und schafft damit die Möglichkeit, dass andere Paddler für ihn Retter spielen dürfen. Die Kuriosät des Tages liefern sich dabei Marcel und ein zweiter Paddler als sie sich, unabhängig voneinander, jeder an ein anderes Ende des Bootes mit Cowtail einhängen und das Boot quer zur Hauptströmung an Land ziehen.

Nun folgt leichtes Wildwasser mit einigen wenigen Verblockungen. Ein scharfes Kehrwasser zwingt mich zu einer kurzen Rolle. Ansonsten folgt eine Zeit lang nichts Spannendes. Kurz vor Ende legen die Schwierigkeiten nochmal zu. Oberhalb und unterhalb der sogenannten Waschmaschine, der Name ist Programm, sorgt eine Paddlerin nochmal für eine kurze Auffrischung der zuvor erlernten Rettungstechniken. Immerhin erspart sie sich dadurch das Boot die Uferböschung hinaufzuschleppen. Das übernehmen die Retter für sie. Wofür ist man denn sonst in so einer großen Gruppe unterwegs.

Am Ausstieg bedanken wir uns recht herzlichst beim SKC und allen anderen Teilnehmern. Schön wars, und nass. Es regnet übrigens noch immer. Wir nehmen viele schöne Erinnerungen, neue Fertigkeiten und jede Menge nasses Klump wieder mit nach Hause. Das Auto riecht übrigens immer noch nach Neopren.

Euer Paddelclub Pernitz