Übungsleiter Teil 2

Zieh mal, du Flasche!

Erinnert ihr euch noch an das hier. Damals schrieb ich noch voller Zuversicht:“ Wir sehen uns im Frühjahr.“ Gemeint war damit der zweite Teil unserer Übungsleiterausbildung. Aber dann kamen Beta, Delta, Lockdown 2, Lockdown 3 und irgendwie verging plötzlich ein ganzes verdammtes Jahr seit unserem ersten Besuch in Osttirol. Ein Jahr! Hinzu kamen kurzfristige Änderungen beim Datum, beim Austragungsort und zusätzlich anfallende Kosten, die nach der Vorgeschichte zu Übungsleiter Teil 1, nur noch deutlicher unterstreichen, welch schwere Hürden wir auf uns nehmen mussten, damit wir heute hier stehen.

Im Dunkeln! In Matrei. Vor einer verschlossenen Türe. Es ist kalt, und spät. Ich krame den Schlüssel aus der Mittelkonsole. Lorenz hat uns freundlicherweise erneut sein Ferienhaus zur Verfügung gestellt. Und wie letztes Mal auch, müssen wir es im Dunkeln suchen. Nach knapp 5 Stunden Autofahrt schaffen wir es aber gerade noch so die Eingangstüre zu finden. Für viel mehr ist dann aber auch keine Kraft mehr. Wir stellen sämtliche Infrarotheizungen auf Medium Rare und verheizen eine Ladung Holzscheite im Ofen. Dann fallen wir in die Schlafsäcke.

Der nächste Morgen verläuft relativ stressfrei. Anders als noch beim letzten Mal müssen wir erst eine Stunde später in Lienz aufschlagen. Dadurch haben wir mehr Zeit fürs Frühstück und zum Packen. Wir treffen demnach ungewöhnliche 5 Minuten vor der Zeit am Bootshaus des OKC ein. Wie es sich aber für Paddler gehört, sind nicht alle Teilnehmer dermaßen pünktlich und so startet der Kurs mit etwas Verspätung. Erster Punkt auf der Tagesordnung: Slalomtraining!

Wir fangen also genau da wieder an, wo wir das letzte Mal aufgehört hatten. Für die nächsten 2 Stunden wickeln wir Boot und Paddel möglichst elegant um die bunten Slalomstangen. Unter der Anleitung von Manuel und Andi arbeiten wir uns Kurs um Kurs die Slalomstrecke hinunter. Die Erfolgserlebnisse sind dabei unterschiedlicher Natur. Zwar können wir alle drei eine signifikante Verbesserung gegenüber unserer letztjährigen Performance ausmachen, allerdings gibt es bootspezifische Unterschiede.

Fiona tut sich schwer. Der bulligen Amo von Lorenz verhält sich träger als gedacht. Die Wochen zuvor noch restlose Begeisterung über dieses Boot schwindet nun zunehmend. Sie ist aber nicht die Einzige, die sich schwertut. Einige Kollegen aus Graz müssen sich mancherorts durch den Parkour rollen und sogar ein Slalomfahrer wird getrennt vom Boot ans Ufer gespült. Um Ähnliches zu verhindern, überlasse ich Fiona mein Kendo und borge mir stattdessen Julians Rexy für ein paar Runs aus. Muss er halt mal kurz Pause von seinen Kerzelübungen machen.

Auch wenn ich bis dato kein allzu großer Fan des Party Rexy war, muss ich doch zugeben, dass er im Slalomkurs angenehm überrascht. Gerade die Wendigkeit und die höhere Sitzposition gewährleisten einen guten Überblick. Trotzdem bin ich der Meinung, dass mein Kendo immer noch schneller ist. Apropos Kendo, was macht der eigentlich? Der wird derweilen von Fiona ein Stück weiter unten durch den Kurs gehetzt, erfolgreich wie sich zeigt. Kurz vor der Mittagspause stellt sich damit auch bei Fiona ein zufriedener Gesichtsausdruck ein.

Das Mittagessen verbringen wir an Land. Zwangsweise, denn pünktlich zu Mittag geht uns das Wasser aus. Danke, Wasserkraft! Da wir für das kommende Sicherheitstraining aber ohnehin auf die Isel wechseln, kann uns der Wasserstand auf der Drau durchaus egal sein. Am Raftingparkplatz kurz vor Lienz beginnt dann die Materialschlacht. Während Manuel, überfordert mit der geringen Anzahl von lediglich zwei Händen, sein Equipment zu einem Seilzug verknüpft, finden wir uns derweilen in Kleingruppen zusammen.

Dabei verwandelt sich der Parkplatz innerhalb kürzester Zeit in einen Basar für Kletterequipment. Der Boden ist übersäht von unzähligen Karabinern, Seilrollen und Bandschlingen. Für einen kurzen Moment ruft das Klimpern der Sicherungsgeräte Erinnerungen an den Sportunterricht wach, wo der Lehrer bereut, seinen Schülern die Bälle aushändigt zu haben noch bevor das Spiel zu Ende erklärt wurde. Jeder ist nur mehr mit seinem Spielzeug beschäftigt. Mit lauter Stimme klappert Manuel nochmals alle Kleingruppen ab und versichert sich, dass auch jeder das entscheidende Equipment besitzt um die zuvor erklärten Übungen durchzuziehen. Dann werden wir in die freie Wildbahn entlassen.

Die Kleingruppen zerstreuen sich wieder und die Teilnehmer bewegen sich teils fluchtartig zu ihren Fahrzeugen, nur um am Einstieg den bestmöglichen Parkplatz zu ergattern. Teilweise sogar, ohne überhaupt eine Ahnung zu haben, wo besagter Einstieg sein soll. Als wir planlos die Isel flussaufwärts fahren, bemerken wir den Einstieg auch nur aufgrund der bereits kreuz und quer liegenden Paddelboote. Sieht aus als wären wir hier richtig. Bei der ersten Straßenbrücke oberhalb von Lienz, direkt an einer künstlichen Gefällebremse. Ideal um gleich zu Beginn sein Können unter Beweis zu stellen.

Ulla wirft einen dürftigen Blick auf den Abfall und beschließt ihre Schwimmkünste nicht gleich zu Beginn zur Schau zu stellen. Julian reißt ins andere Extrem aus und sucht geradezu nach der Stelle mit dem größten Weißwasserwulst am Ende. Er wird fündig. Ich folge Julian und Fiona nimmt aus Erfahrung einen Respektabstand zu unserer Linienwahl ein. Kurze Zeit später stößt Ulla zurück zur Gruppe und nach ein paar Metern warmpaddeln beginnen wir mit unserer ersten Übung: Wurfsackrettung!

Abwechselnd werfen wir uns im hüfttiefen Wasser in die Fluten und lassen uns vom Rest der Gruppe samt Wurfsack wieder an Land ziehen. Die Zielübungen funktionieren und der Wurfsack trifft zumindest immer in unmittelbarer Reichweite vor dem Schwimmer auf die Wasseroberfläche. Übungsbedarf gibt es lediglich bei beim Bergen selbst. So stellt sich heraus, dass man selbst im seichten Uferbereich noch ordentlich Wasser schlempern kann, wenn man darauf vergisst in Rückenlage zu verweilen. Durchnässt und leicht ausgekühlt beschließen wir die letzten Sonnenstrahlen gleich für unsere nächste Übung zu nutzen: Flaschenzug!

Übermotiviert und gestützt von den eher ratlosen Blicken meiner Mitpaddler übernehme ich die Leitung und habe in wenigen Handgriffen einen ersten Flaschenzug betriebsbereit. Bevor wir aber überhaupt dazu kommen den Flaschenzug zu testen fährt mir Manuel in die Parade. Kurzerhand zerlegt er unseren Flaschenzug wieder und präsentiert uns stolz seine eigene Lösung, auf die er gerade gestoßen ist. Mit einem Schlag sind wir arbeitslos. Ein Tibloc, ein Traxiom und ein Karabiner mit integrierter Rolle später steht ein beeindruckend kleiner Flaschenzug, der sich zu allem Überfluss auch noch gänzlich im Ein-Mann-Betrieb bedienen lässt.

Nicht schlecht! Die Menge ist begeistert, mich eingeschlossen! Vom Equipment her definitiv die teuerste Lösung, aber sie hinterlässt Eindruck. Vielleicht sollte ich auch mal wieder ein bisschen Geld für neues Klettermaterial locker machen? Spoiler, ist inzwischen geschehen. Manuel zieht mit zufriedenem Grinsen zur nächsten Gruppe weiter, während wir zu unserem ursprünglichen Plan, einen Stamm Treibholz vom Ufer zu befreien, zurückkehren. Der Testlauf des Flaschenzugs gelingt und wir können zufrieden weiterziehen.

Auf dem Weg zu unserer nächsten Übung versorgt uns Ulla an einer steinigen Gefällestufe mit einer kleine Schwimmeinlage. Auch wenn diese sicher nicht mit Absicht angedacht war, so hätte sie sich keine bessere Zwischenübung für unser Sicherheitstraining einfallen lassen können. So eine klassische Cowtail-Rettung inmitten des Flusses kann man ohnehin nicht oft genug trainieren. Als wir uns kurz danach für unsere letzten zwei Übungen auf einem abzweigenden Flussarm positionieren, verweilt Ulla indes nur mehr in sicherer Sichtdistanz zum Geschehen.

Wir beginnen mit der Springerrettung. Da sich die Sonne aber bereits komplett hinter der angrenzenden Bergkante versteckt hat, ist die Motivation für einen Sprung ins kalte Wasser inzwischen stark gedämpft. Die Damen der Runde setzten geschlossen aus. Nur die Männer, allen voran Julian und ich, nutzen die Gelegenheit sowohl als Schwimmer, als auch als Springer an der Übung zu partizipieren. Die wenigen Durchläufe sind schnell hinter uns gebracht. Nach einer kurzen Nachbesprechung entscheiden wir uns, vor allem wegen der sinkenden Teilnahmebereitschaft, auch die letzte Übung noch schnell in abgeänderter Form noch anzuhängen: Abschleppen!

Oder so ähnlich. Eigentlich lag das Ziel darin, einen Retter mithilfe von Cowtails von beiden Ufern aus auf eine Insel in der Mitte zu befördern. Mangels einer Insel in der Flussmitte entschieden wir uns aber dafür die Übung auf eine Flussquerung umzufunktionieren. Der seichtere Wasserstand auf unserem Seitenarm war ideal dafür. Die beiden Uferteams hatten sich recht schnell zusammengefunden, lediglich eine Schwimmerin fehlte noch. Die Idee war, dass eine Schwimmerin aufgrund des geringeren Gewichts die Übung vermutlich etwas leichter gestalten würde. Und wir hatten recht.

Fiona ließ sich aufgrund ihrer Trockenhose noch am leichtesten dazu überzeugen erneut ins Wasser zu steigen. Und kaum war sie Hüfttief in die Hauptströmung gestiegen entwickelte der Wurfsack an ihrer Schwimmweste enorme Kräfte. Sowohl die Strömung selbst als die Querkräfte gegenüber der anderen Seite zogen so stark, dass mir der grobe Uferschotter unter den Füßen davonrutschte. Bei solchen Seilkräften hätten selbst erfahrene Bondage-Veteranen Mühe gehabt Lustgefühle zu entwickeln.

Auch Fiona hatte Mühe den Kopf über Wasser zu behalten. Der Wasserdruck ließ ihre Bugwelle teils gefährlich hoch werden, sodass man fürchten musste, dass sie demnächst darunter versinkt. Glücklicherweise musste sie aber nicht zur Notentriegelung greifen. Die Übung gelingt und hinterlässt das wertvolle Wissen, dass selbst eine seichte Strömung verdammt stark sein kann, vor allem wenn man eine Person quer zur Strömungsrichtung positionieren muss. Bestimmte Seilkünste überlässt man lieber den Bondage-Profis.

Nachdem Fiona die Querung zurück ebenfalls gut überstanden hatte, verstauten wir sämtliches Sicherheitsequipment wieder und machen uns auf die Suche nach unserem restlichen Kurs. Etwa 20min später treffen wir am Ausstieg ein und bemerken, dass wir trotz Verspätung nicht die letzten sind. Am Parkplatz herrscht inzwischen wieder buntes Chaos. Autos, Paddelboote und nasses Neoprenzeug. Alles liegt quer. Trotzdem gelingt es uns in diesem Wirrwarr eine Mitfahrgelegenheit zum Einstieg zu ergattern. Irgendwie müssen die Autos ja auch wieder runter.

Als ich vom Auspendeln zurück komme liegt das gesamte Ufer bereits tief im Schatten. Sogar auf der Sonnenseite der Isel zeigen sich nur mehr vereinzelte Sonnenflecken. Es ist spät. Inzwischen liegen wir mehr als eine Stunde hinter dem geplanten Programm. Manuel zieht die Reißleine und erklärt den Tag für beendet. Aber nicht ohne uns vorher noch einmal eine kurze Gegenüberstellung dreier verschiedener Flaschenzug-Lösungen zu präsentieren.

Als Manuel mit der Präsentation seiner Seilkünste fertig ist, wird noch der morgige Zeitplan um eine Stunde nach vorne verschoben. Dadurch soll die heute verlorene Zeit aufgeholt und gleichzeitig verhindert werden, dass uns bei unsere morgige Slalomübung nicht das Wasser ausgeht. Danach werden wir entlassen. Juhu, Feierabend! Und schon befinden wir uns auf dem Heimweg. Nachdem wir durch diese Planänderung sogar Zeit gewonnen haben, beschließen wir essen zu gehen.

Bis wir in Matrei ankommen, ist die Motivation für ein Auswärtsessen aber bereits wieder verflogen. Müde Knochen und jede Menge nasses Zeug zum Aufhängen lassen dafür eigentlich keine Zeit. Kochen wollte aber auch niemand so recht und so dachten wir uns, dass wir uns doch was liefern lassen könnten. Falsch gedacht. Die zwei einzigen in Frage kommenden Restaurants haben gleichzeitig Betriebsurlaub und eine Hochzeitsgesellschaft zu bedienen. Spitze!

Beim dritten Versuch werden wir aber endlich fündig. Eine Pizzeria in Lienz liefert zu uns herauf. Und auch wenn mit Zustellung und Zubereiten eine ganze Stunde vergeht, so sind wir doch überaus glücklich, als uns endlich jemand etwas Warmes zum Essen vor die Finger hält. Weil keiner von uns an Bargeld gedacht hatte, kratzen wir aus unser aller drei Geldbörsen den Schotter zusammen, um den Mann zu bezahlen. Endlich können wir die, in Anbetracht des weiten Anreisewegs, immer noch überaus lauwarme Pizza genießen.

Danach beginnt die Erinnerung zu verblassen. Nachdem der Hunger gestillt wurde, gibt es nichts mehr was dem langersehnten Fall ins Bett noch im Wege stünde. Das Abendproramm fällt dementsprechend dürftig aus. Morgen müssen wir ohnehin wieder fit sein. Da könnte es nämlich endlich passieren. Vielleicht schaffen wir es dann endlich den Übungsleiterkurs abzuschließen. Das wär doch mal was.

Die Zeit läuft, das Wasser auch!

Der finale Tag ist angebrochen. Trotz vorverschobenem Programm kommen wir überpünktlich mit unserem Auto auf dem viel zu kleinen Parkplatz beim Bootshaus des Osttiroler Kajak Clubs an. Während wir die Wartezeit nutzen, um in unser Neopren zu schlüpfen, wird unser Auto derweilen von allen Seiten mit fremden Kennzeichen zugeparkt. Das könnte noch lustig werden bei der Abreise. Manuel gibt uns inzwischen die Instruktionen für den heutigen Vormittag: Slalomfahren im Buddy-System.

Dafür soll sich die Gruppe in Zweierkonstellationen zusammenfinden. Da mich Fiona kurzerhand gegen ein jüngeres Modell mit meinen Genen austauscht lache ich mir einen Buddy aus Schladming an. In trauter Zweisamkeit marschieren wir hinter Manuel die Drau entlang bis zum Beginn der Slalomstrecke. Manuel war in der Früh bereits fleißig und hat uns einen Kurs in die Drau gezaubert, den es nun zu lernen und zu meistern gilt. Am Ende soll ein kleine Zeitrennen über den Erfolg dieser Übung bestimmen.

Mit Block und Stift bewaffnet gehen wir Tor um Tor wieder zurück zum Ausstieg und notieren uns dabei sämtliche Tücken und Positionen der Slalomstangen. Eigentlich wäre eine Machete dafür besser geeignet gewesen, da die dichte Uferböschung die Einsicht auf die relevanten Slalomstangen erheblich erschwert. Etwa nach dem dritten Tor zeichnen sich innerhalb der Gruppe bereits die kognitiven und künstlerischen Fähigkeiten ab. Wo andere Zweierteams wenige Zeilen samt detaillierter Beschreibung liefern, haben andere Teams eine ganze A4-Seite aus unübersichtlichen Linienzügen und Nummern fabriziert.

Hinzu kommt, dass die an den Slalomtoren angebrachten Nummerierungen nicht mit denen unseres Kurses übereinstimmen und dass auch der grün rote Farbcode, der normalerweise zwischen Auf- und Abwärtstoren unterscheidet, wild durcheinandergewürfelt ist. So kommt es Zustande, dass dann Beschreibungen wie: Als zweites fahren wir durch das grüne 3er-Tor aufwärts um dann nach rechts zum dritten Tor bestehend aus einer roten Stange ohne Nummer zu kommen. Dann folgt eine Gerade wo das grüne Tor Nummer, hab ich vergessen, rechts ausgelassen wird, um zum nächsten Tor zu gelangen welches von hier aus nicht zu sehen ist.  Alles klar, oder?

Schnell wird klar, dass dieser Kurs nicht nur die paddeltechnischen Fähigkeiten, sondern auch die intellektuellen Kapazitäten strapazieren wird. Schon jetzt kann man sich sicher sein, dass so mancher Teilnehmer mit der Torabfolge überfordert sein wird. Dabei sind wir noch gar nicht bei der Schlüsselstelle. Diese wartet mit gleich mehreren Kniffligkeiten auf. Zuerst kommt ein einsames Aufwärtstor dicht hinter einem großen Felsen. Die Anfahrtsmöglichkeiten rund um den Felsen sind so zahlreich, dass sogleich eine wilde Diskussion darüber entbrennt, wie man wohl am schnellsten und am leichtesten durch dieses Tor hindurch kommt.

Unabhängig davon muss danach das Ufer zum nächsten Abwärtstor gewechselt werden, welches mitten in der schrägen Hauptströmung liegt. Die folgende Herausforderung liegt darin, das darauffolgende Aufwärtstor welches beinahe in derselben Höhe hängt auch noch zu erwischen, ohne durch die dafür notwendige Kehre zu viel an Zeit zu verlieren, bevor besagte Hauptströmung mittig auf den nächsten großen Felsen trifft. Hinter diesem dann übrigens das nächste Tor liegt. Wuff! Da hat uns Manuel ganz schön was hingezaubert. Die restlichen Meter bis zum Zieltor verlaufen ähnlich fordernd und bedürfen keiner weiteren undurchsichtigen Beschreibung.

Als wir am Ende des Kurses angekommen sind, gibt uns Manuel Zeit für ein paar Trainingsläufe bevor wir ein Zeitrennen auf diesem Kurs veranstalten. Der Andrang bleibt aber zunächst gering. Zuerst müssen noch mal alle ihre gerade fertig fabrizierten Hieroglyphen identifizieren. Auf dem Weg zurück zum Einstige besuchen mein Buddy und ich nochmals alle Torkombinationen, um auch ganz sicher zu sein nicht versehentlich vom Kurs abzuweichen. Dann geht’s los.

Erster Trainingslauf. Ich weiß noch, dass ich Tor 1 und 2 ziemlich unschön gemeistert hab. Danach gabs eine kurze staubedingte Pause, bevor eine relative lange und direkte Linie kommt. An der Schlüsselstelle wähle ich die direkte Kampflinie und scheitere. Hier treffe ich nun auf einen ganzen Haufen Paddler, die alle an derselben Torstange versuchen den richtigen Zeitpunkt für den Paddelschlag zu finden. Aber selbst nach mehrmaligen kräfteraubenden Versuchen fühlt sich die Linie einfach nicht gut an. Eine Idee kommt mir in den Sinn.

Ob man auch hinter dem Felsen vorbei über den langen Weg aber vermeintlich leichteren Weg zum Tor gelangen könnte? Einen Versuch ist es wert, stimmt mir Andi zu uns so setze ich die Fahrt fort. Es geht weiter in die knifflige Doppelkombination, die dank einer kleinen Hilfestellung leichter scheint als gedacht. Verkehrt ins erste Tor einfahren, war eine super Idee. Dadurch verliert man gegen die Strömung weniger Höhe und man bekommt durch die restlichen Tore weniger Zeitstress. In der Endpassage erwische ich ein paar der Tore sogar beinahe perfekt. Überraschend zufrieden steige ich aus dem Boot und lasse den ersten Trainingslauf mit meinem Buddy Revue passieren.

Wir tauschen unsere jeweiligen Erfahrungen aus und versuchen mithilfe der neu gewonnenen Kenntnisse eine Verbesserung zum vorherigen Run zu erzielen. Mir gelingt dieses Vorhaben sogar. Die Tore 2 und 3 funktionieren wesentlich besser und auch der Anfang der Schlüsselstelle lässt sich über einen Umweg von der anderen Seite spürbar leichter bewältigen. Die nachfolgende Doppeltorkombination funktioniert ebenfalls problemlos wie im vorherigen Run. Lediglich danach machen sich erste Ermüdungserscheinungen bemerkbar und so gelingen die letzten Tore nur mehr schlecht als recht.

Und jetzt das Ganze auf Zeit. Das Training ist rum, ab jetzt wird es ernst. Manuel ruft das Darby zu Lienz aus. Die einzige Änderung zu vorher ist ein flach überspülter Felsen, auf dem wir auf unser Startkommando warten. 3…2…1…Go! Und auf einmal finden wir uns inmitten eines Slalomrennens. Mit voller Kraft voraus geht es durch die ersten drei Tore. Die Idealline erwische ich zwar knapp nicht, dennoch lasse ich auch nicht allzu viel Zeit liegen. Es folgt die lange gerade Passage. Und so sehr man sich auch vornimmt hier auf Teufel kaum raus wieder Zeit gut zumachen umso mehr nutzt man die Passage doch eher, um seinen Puls wieder in geregelte Bahnen zu drücken.

Als die Einfahrt in die Schlüsselstelle kommt ist man fast froh, weil man jetzt wieder etwas vom Gaspedal runter muss, um die genaue Linie durch die Tore zu erwischen. Und auch hier kann ich mich nicht beklagen. Die Torfolge sitzt und die Ideallinie scheint gar nicht mal so weit weg zu sein. Schwierig wird erst das unterste Drittel. Die technischen Herausforderungen sind vorbei, aber nun gilt es einfach noch die letzten 5 Tore schnellstmöglich zu absolvieren. Und genau hier machen die Arme nicht mehr mit. Jeder Schlag ist ein Kampf. Das Paddel zieht nur mehr mühsam durch das Wasser, welches sich inzwischen wie zäher Germteig anfühlt.

Geschafft! Das letzte Tor. Aus, ende, vorbei! Schnappatmung setzt ein, um den Körper aus dem anaeroben Leistungsbereich zurückzuholen. Was für ein Run! Auch wenn ich glaube, dass der zweite Trainingsrun eigentlich besser war, sollte das eine super Zeit gewesen sein. Nun aber rasch aus der Hauptströmung hinaus. Das nächste Kehrwasser zum Ausruhen ist nur wenige Meter entfernt, scheint aber, durch die Hauptströmung getrennt, Ewigkeiten entfernt. Hier können die müden Gliedmaßen wieder genügend Kraft tanken, um zurück zum Ausstieg zu paddeln. Dort brauche auch ich nun eine ausgedehntere Pause, und etwas zu Trinken.

Bei meinem Buddy sieht es nicht anders aus. Auch er kommt keuchend aus der letzten Torstange ans Ufer und meint, dass er jetzt erstmal eine gröbere Pause benötigt. Mir wars recht. So hatte ich Zeit mal die Kamera über den Kurs schweifen zu lassen und zu sehen, wie es Julian und Fiona geht. Julian schien in dem Kurs keine sichtlichen Probleme zu haben. Auch bei der Schlüsselstelle stellte er sich trotz sichtlicher Mühe besser an als die meisten. Einige Paddler waren an dieser Stelle so dermaßen gefordert, dass sie gleich mehrere Nachfolgetore auslassen mussten. Manche schienen die Tore aber auch aus schierer Vergesslichkeit über den weiteren Kursverlauf bewusst links liegen zu lassen.

Fiona gehörte eher zur ersten Kategorie. Der Pyranha Machno war einfach kein Slalomboot. Zu langsam und zu träge tänzelte er dem Kurs hinterher. Fiona war sichtlich frustriert und so überließ ich ihr für den nächsten Run mit Freude meinen Kendo. Mein Buddy war ohnehin noch nicht wieder fit für einen weiteren Run. Während ich also auf dem Trockenen ausharrte, waren Fiona und Julian bereits auf dem Weg zum zweiten Durchlauf. Die Wartezeit vertrieb ich mir damit dem Wasserstand beim Sinken zuzusehen. Wenn mein Buddy und ich noch einen Run erwischen wollen, müssen wir uns langsam beeilen.

Noch hatte ich aber ohnehin kein Boot, aber gleich. Fiona hat bereits die ersten 3 Tore hinter sich gebracht und nähert sich mit Riesenschlägen der Schlüsselstelle. Gespannt auf die Performance im Kendo richte ich meine ganze Aufmerksamkeit auf sie, damit ich ja nicht verpasse, wie sie aus dem Kehrwasser rausgedrückt wird und vorbei an sämtlichen Folgetoren vorbeischießt. Mist! Das hat sie sich sicher anders vorgestellt. Die restlichen Tore lässt sich gleich ganz liegen und bootet lieber aus. Mit einem Schlag vergeht mir die Lust auf einen zweiten Run.

Fiona ist niedergeschlagen und braucht etwas Trost. Normalerweise ist der Kendo ihre Wunderwaffe und nicht mal dieser wollte heute funktionieren. Eine Kombination aus fremden Boot, Zeitstress und langsam eintretender Müdigkeit in den oberen Extremitäten kollidiert mit einem erwartenden Aufflammen von sportlichen Ehrgeiz bei dem am Ende der Frust die Oberhand gewinnt. Es braucht eine Menge aufmunternder Worte, bis die finstere Stimmung wieder verfliegt. Inzwischen hat Manuel das Darby aufgrund des stark sinkenden Wasserstands für beendet erklärt.

Um die Strapazen des Slalomwettbewerbs zu vergessen, widmen wir uns nun dem Mittagessen, bestehend aus Frühstücksresten, einem Stück kalter Pizza und einem vollen Blech Topfenstrudel. In der Zwischenzeit versuchen Manuel und seine Helferlein vergebens die Zeitenliste des Darbys in eine Rangliste umzuwandeln. Nach einer verlängerten Mittagspause wird verkündet, dass dieser Prozess leider gescheitert ist. Die Zeiten passen nicht zusammen und lassen sich auch nicht mehr eruieren.  Ein Blick auf den Zettel beweist, dass die Mitschrift nicht ganz die Wahrheit abbildet. Ok, dass Julian schneller als ich war, lasse ich mir vielleicht noch einreden aber, dass ich der langsamste der gesamten Gruppe war, scheint mir doch sehr unwahrscheinlich. Immerhin liegt Fiona in dieser Liste auf einem recht passablen Mittelfeldplatz.

Etwas enttäuscht von der verpatzen Zeitnehmung starten wir in den letzten Kursabschnitt. Es folgt ein letzter Theorieblock über Slalomregeln und Extreme Slalom von Andi und abschließend ein Vortrag über Verantwortung und Macht als Führungspersönlichkeit im Sport von Manuel. Nach dieser verkürzten Nachmittagssitzung sind wir fertig. Fertig? Also, so richtig jetzt? Das offizielle Ende geht ohne großen Jubel über die Bühne. Man bedankt sich fürs gegenseitige Interesse und macht Werbung für die Kajak-Instruktor-Ausbildung. Das wars? Nein, nicht ganz! Da war noch was! Alle nochmal zurück. Wir brauche noch eure Fotos!

Perfekt! Nicht nur, dass beinahe auf das Ausweisfoto für den Übungsleiter vergessen wurde, man schießt dieses Foto auch noch am Ende des Kurses. Dann, wenn alle Teilnehmer durch den zweitägigen Neoprenkontakt einen dermaßen hohen Fettgehalt in den Haaren haben, dass sich Seeleute aus dem 18. Jahrhundert lieber auf uns, als auf die Waljagd konzentriert hätten. So viel Spucke gibt’s auf keiner Zunge, um der Friseur schnell nochmal hinzubiegen. Und so wird zumindest der Eindruck erweckt, man hätte sich den Titel wenigstens schweißtreibend erarbeitet, als vor der Blockhütte mit dem Handy unsere Fahndungsfotos erstellt werden.

Aber hey, wir sind nun vollständige Kajak-Übungsleiter. Endlich! Die Freude ist groß. Nicht nur, weil wir diesem Moment inzwischen seit Jahren hinterherlaufen, sondern auch, weil wir früher fertig sind als erwartet. Die 5 Stunden Heimreise müssen wir ja auch noch absolvieren. Nach einer kurzen Puzzlerunde Rush-Hour haben wir unser Auto aus dem Parkchaos ausgefädelt und verabschieden uns fürs vorerst letzte Mal. Vielleicht sehen wir uns ja bei der Ausbildung zum Instruktor wieder. Bis dahin.

Euer Paddelclub Pernitz